„Wie wir die Dinge auch drehen und wenden: Am Anfang muss die Einsicht stehen, dass der Sozialstaat alter Konstruktion am Ende ist!"

Jürgen Borchert - Landessozialrichter

Alltagshilfen

Familienbezogene Selbsthilfe und bürgerschaftliches Engagement

Es sind in der Regel nicht die großen Notlagen und Ereignisse, die Familien permanent unter Druck setzen, sondern die vielen kleinen Alltagsprobleme und der hohe Organisationsaufwand, den das Leben in Familie mit sich bringt. Familien sind im Normalfall leistungsfähig und können den Alltag bewältigen. Das Konzeptpapier der Ministerin sieht und würdigt diese 'Kraft, Stärke, Alltagskompetenz' von Familien. Werden allerdings Druck und Stresspegel zu hoch und kommt Unvorhergesehenes dazu, so hat dies oft negativen Einfluss auf das Gelingen von Familienleben.

Wir halten die Alltagskompetenz für die wichtigste Fähigkeit von Familien, die es zu erhalten und zu stärken gilt. Zentrale Aufgabe von Familienpolitik sollte folglich sein, den Alltag von Familien zu erleichtern. Das o.a. Papier stellt völlig richtig als Kernaufgabe der Familienpolitik heraus, die notwendigen Rahmenbedingungen für die Bewältigung von Alltagsanforderungen zu schaffen. Gleiches unterstreichen auch die Koalitionsvereinbarungen NRW vom 13.07.2000 auf Seite 73. Die schon vorhandene leistungsfähige Struktur der Familienbildung kommt genau dieser Aufgabe nach. Sie ist folglich als "Begleitinstanz" von Familien vor Ort zu stärken.
Familien benötigen vielfältige Hilfen, die die LAGF u.a. in ihrem kommunalpolitischen Ratgeber dargestellt hat. Beispielhaft wird an dieser Stelle darauf verwiesen, dass familienentlastende Wirkungen u.a. durch Fahrdienste, Hausaufgabenbetreuung in den Schulen, Organisation von Essensangeboten für Kinder und Jugendlich durch Mittagstische in den jeweiligen Einrichtungen, sowie durch Einrichtung von Diensten, die im Krankheitsfall der Eltern alltägliche Aufgaben übernehmen, erzielt werden können.
Die vorgenannten Beispiele alltagserleichternder Dienste müssen nicht zwangsläufig durch ein komplettes öffentliches Angebot abgedeckt werden. Denkbar sind selbstverständlich auch Selbsthilfeinitiativen. Solche Initiativen existieren bereits in großer Zahl. Sie müssen nur von der Politik wahrgenommen, anerkannt und organisatorisch bzw. finanziell/personell gestützt werden.

Verbraucherarbeit

Die im Konzeptpapier der Ministerin dargestellten Beratungsangebote werden als wichtiger Bestandteil zur Hilfe in der Lebensführung dargestellt. Diese Aussage teilen wir. Es ist allerdings nur die Rede von den klassischen spezialisierten Beratungsangeboten.

Der Verbraucherschutz wird an keiner Stelle erwähnt und kommt auch in den Koalitionsvereinbarungen unserer Meinung nach zu kurz. Globalisierung und Europäisierung fordern eine umfassendere Verbraucherberatung sowie verständliche und transparente Kriterien für die vielen unterschiedlichen Gütesiegel und Zertifizierungen. Ob Chemie in der Babynahrung, im Fleisch, in der Kleidung oder der Kauf eines Autos im Nachbarland oder die Wahl der Krankenkassen und die Arztwahl vor dem Hintergrund der Zunahme der privaten Kostenübernahme, die Ausweitung und Flexibilisierung des Marktes wird für die Verbraucherin/den Verbraucher zu einem Dschungel.

Familien, die mit der Organisation des Familienlebens ausgefüllt sind, haben kaum Zeit sich beim Einkauf für den täglichen Bedarf mit Testzeitschriften zu befassen. Hier ist die Landespolitik gefordert, Verbraucher/innen zu schützen und das Angebot der Verbraucherberatung stärker auszubauen und finanziell abzusichern. Dazu gehört auch die Förderung der Ortsarbeitsgemeinschaft der Verbraucher/innen. Vor allem müssen die Zugangsmöglichkeiten zu den örtlichen Verbraucherzentralen erweitert werden. Öffnungszeiten von wenigen Wochenstunden in einem abgelegenen Gebäude sind angesichts des freien europäischen Waren- und Kapitalmarktes rückständig. Wir fordern Beratung an Orten, wo sich Familien aufhalten. So sollten zum Beispiel in den Familienbildungsstätten schnelle aktuelle Informationsmöglichkeiten bereitgehalten werden. Darüber hinaus schlagen wir Internetcafes in Familienbildungsstätten und Stadtbibliotheken vor, die auf die entsprechenden Internetseiten hinweisen. Es kann nicht nur darum gehen, den Umgang mit der Technik zu vermitteln, sondern aus dem world-wide-web zum Beispiel die für den Verbraucherschutz wichtigen Informationsquellen herauszufiltern und handhabbarer zu machen.

Dies erfordert personellen und finanziellen Einsatz. Viele Kommunen können wegen ihrer defizitären Haushaltslage Familienbildungsstätten und Verbraucherarbeit finanziell nur gering oder gar nicht fördern. Aus unserer Sicht ist es Landesaufgabe, Rahmenbedingungen herzustellen, die für einen gesicherten Verbraucherschutz und eine leicht verständliche und abrufbare Verbraucherinformation sorgen.

Für eine wirklich flächendeckende Schuldnerberatung gibt es landesweit zu wenig Stellen. Dadurch kommt es zu erheblichen und sich für den Einzelnen nachteilig auswirkenden Wartezeiten. Darüber hinaus erweist sich das Insolvenzrecht in der jetzigen Form als wenig praktikabel.

Über das Internet haben Nutzer heute erstklassige Möglichkeiten, entsprechende Informationen zu bekommen. Aber längst noch nicht alle verfügen über diesen Zugang. Es darf keine Informationsverlierer geben. Hierzu bedarf es einer Informationspolitik, die alle gesellschaftlichen Gruppen erreicht. Allerdings dürfen auch diejenigen gesellschaftlichen Gruppen nicht vergessen werden, die keinen Zugang zu diesem Informationen im Netz haben.

Selbsthilfe

Familienbezogene Selbsthilfe und bürgerschaftliches Engagement

Seit vielen Jahren verweist die Landesregierung auf den Bedeutungszuwachs familienbezogener Selbsthilfeinitiativen und des bürgerschaftlichen Engagements. Diese sollen "den sozialen Kitt liefern", so die Landesregierung, der im Zuge von Modernisierungsprozesse brüchig geworden ist. Ein Gesamtkonzept zur Stärkung dieser Zielgruppen steht bis heute aus. Dem Land kommt in diesem Kontext eine Moderatorenfunktion zu, in der es Modelle zur Stärkung der Familienselbsthilfe anregt und die Ergebnisse und Umsetzungsprozesse mit den Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden diskutiert.

Die Möglichkeiten der Selbsthilfe und Selbstorganisation von Familien dürfen jedoch nicht überschätzt werden. In den politischen Äußerungen der Landesregierung zur Familienpolitik wird zunehmend auf Selbsthilfe und Eigenaktivität gesetzt. So sind z.B. Tagespflege und "Verläßliche Grundschule von 8 bis 13 Uhr" Modelle, die Eltern überwiegend organisieren und privat mitfinanzieren, um ihre Bedarfe an Kinderbetreuung zu sichern.
Obwohl das Zeitbudget von Familien eng bemessen ist und sie enorme Anpassungsprozesse an die gesellschaftlichen Entwicklungen vollziehen müssen, wird,dies ist unser Eindruck, die gesellschaftliche Verantwortung für Kindererziehung schrittweise reprivatisiert.
Die Stärkung der Familienselbsthilfe wird erfahrungsgemäß am ehesten durch die Gewährleistung von Beteiligungsrechten erreicht.

Wenn die Landesregierung als Leitlinie formuliert, dass Politikgestaltung sich an den Bedürfnissen von Familien und Bürgern orientieren muss, dann brauchen wir eine neue Kommunikationskultur, die die Partizipation von Bürgern und Bürgerinnen als Grundlage der Politikgestaltung festschreibt. Dann gilt es, die organisatorischen Bedingungen zu schaffen, die den Dialog zwischen Politik und Gesellschaft ermöglichen.
Aber auch die geleistete Arbeit in den Selbsthilfeinitiativen und die Bedingungen für die Aktivierung bürgerschaftlichem Engagements unterliegen Veränderungsprozessen. Benötigt werden Kooperationspartnerschaften zwischen Hauptberuflichen und den Ehrenamtlichen, ferner finanzielle und personelle Ressourcen (u.a. Öffentlichkeitsarbeit, Fortbildung) zur Aktivierung des Selbsthilfepotentials.
Es muss problematisiert werden, ob die bisherigen Selbsthilfekontakt- und Koordinationsstellen hier hinreichende Impulse zu geben imstande sind.
Selbsthilfe und bürgerschaftliches Engagement können effektiv am besten auf der kommunalen Ebene gefördert und aktiviert werden. Hier müssen die Vorgaben im KJHG umgesetzt werden bzw. neue Strukturen geschaffen werden (z.B. Beauftragte für die Förderung der Familienselbsthilfe, Einrichtung von Selbsthilfekonferenzen, Aufbau von Freiwilligenagenturen, Tauschringe etc.), um aktivierend tätig zu werden und um die notwendige Vernetzungsarbeit zu leisten. Die Landesregierung wird deshalb aufgefordert - gemeinsam mit den Kommunen - ein entsprechendes Umsetzungskonzept zu erarbeiten, das Zielformulierungen, Zeitplanungsvorgaben und Effektivitätskontrollinstrumente vorgibt.
Wo außerdem noch ein dringender Handlungsbedarf besteht, ist, dass es an geeigneten Orten und Räumen für bürgerschaftliches Engagement fehlt. Selbsthilfezentren, Bürgerhäuser und ähnliche Möglichkeiten der Begegnung fehlen. Kindertageseinrichtungen müssten konzeptionell so weiterentwickelt werden, dass diese ebenfalls als Orte der Begegnung und als Informationszentralen dienen. Im Kontext der Modernisierungsprozesse formuliert die Landesregierung zu Recht, dass es darum gehen müsse, diese sozial gerecht zu organisieren. Da zunehmend alle Lebensbereiche "durchkapitalisiert" sind, müssen Möglichkeiten geschaffen werden, "Gegenwelten" zu gestalten (alternative Freizeit- und Kommunikationsangebote, Aufbau von Hilfenetzen). Einen Beitrag hierzu könnte der Ausbau von Kommunikationsräumen leisten.

Familie und Beruf

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Die sogenannte traditionelle Familienform mit der ihr zugrunde liegenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (Mann sichert das Erwerbseinkommen, Frau ist zuständig für die Familienarbeit) entspricht heute in der Breite weder den Vorstellungen junger Menschen noch der tatsächlichen Lebensorganisation.

Die ständig steigende Frauenerwerbsquote ist Beleg dafür, dass zum einen sich das Selbstverständnis der Frauen gravierend verändert hat und zum anderen die materielle Basis tendenziell nur noch durch zwei Verdienste gesichert werden kann - da, wo beide Elternteile mit Kindern leben. Für Alleinerziehende bedeutet der Versuch, Kindererziehung und Erwerb zu koordinieren, noch eine weitaus größere Herausforderung. Die Lebensform Alleinerziehend trägt außerdem ein höheres Armutsrisiko. Aber nicht nur die Veränderung der Geschlechterrollen fordert ein neues Verständnis der Arbeitsteilung in Familie und Teilhabe am Berufsleben, sondern auch aus der Sicht des Kindes heraus ist eine Neubewertung des Verhältnisses von Familien- und Erwerbsarbeit notwendig und wünschenswert. Kinder haben einen Anspruch auf Mutter und Vater.

1. Die materielle Existenzsicherung der Familien

muss neben dem Erwerbseinkommen zusätzlich durch einen sozial gerechten Familienleistungsausgleich abgesichert werden, der auf der Grundlage der tatsächlich entstehenden Kinderkosten weiterentwickelt werden muss. Die Landesregierung ist deshalb aufgefordert, durch Bundesratsinitiativen darauf hinzuwirken, die Umsetzung der Bundesverfassungsgerichtsurteile u.a. durch eine spürbare Erhöhung des Kindergeldes umzusetzen. Die LAGF weist aktuelle Überlegungen der Regierungskoalition in Berlin als nicht verfassungskonform zurück, zum 01.01.2002 statt der gebotenen Kindergelderhöhung nur Betreuungseinrichtungen stärker zu fördern.

2. Die Entscheidung von Partnern, ihren Kinderwunsch zu realisieren

führt im Lebensalltag durch ein Bündel von Gründen (ungleiche Bezahlung, Sozialisation etc.) in der Regel zu einem Rückgriff auf tradierte geschlechtsspezifische Arbeitsteilungsmuster.

Im Interesse des Kindeswohls sind auch Maßnahmen zu ergreifen, die Einfluss auf die Vaterrolle und das Männerbild nehmen. Gesellschaftliche Institutionen, Arbeitgeber und nicht zuletzt Männer müssen lernen, dass die Wahrnehmung von Familien- (und ebenso partnerschaftlichen) Aufgaben in der Verantwortung von Frauen und Männern stehen. Das Gelingen von Partnerschaft und Familie hängt aktuell und in Zukunft immer mehr davon ab, dass geschlechtsspezifische Zuweisungen von Rollen und Aufgaben an Bedeutung verlieren. Es ist notwendig, Männer in allen gesellschaftlichen Bereichen und Positionen durch vielfältige Initiativen zu erreichen und einzubeziehen. Erziehungskonzepte, Lerninhalte in den Schulen, Weiterbildungs- und Familienbildungsangebote müssen diesen veränderten Rollenmustern und Zielorientierungen Rechnung tragen. Eine kraftvolle Öffentlichkeitskampagne, die sich an alle gesellschaftlichen Institutionen und Akteure richten muss, wird diesen Prozess begleiten müssen. Die von uns begrüßte Kampagne "Verpass nicht die Rolle Deines Lebens", die für aktive Vaterschaft wirbt, kann dabei nur ein Anfang sein.

3. Da für die Familien- und Erziehungsarbeit ein hoher Zeitaufwand notwendig ist

begrüßen wir die Neuregelung bezüglich des Rechtsanspruches auf individuelle Teilzeitarbeit bei der Erziehung von Kindern oder bei der Pflege von Angehörigen. Die neue Regelung ist jedoch nicht weitgehend genug, da Angestellte in Betrieben mit weniger als 15 Beschäftigten (z.B. weisen 73 % aller Handwerksunternehmen eine Größe von weniger als 10 Beschäftigte auf, vgl. Landtagsdrucksache 12/3121 v. 4.6.98, S.151) von dieser Regelung nicht partizipieren können. Es muss die Sicherheit gewährleistet werden, dass aufgrund dieser Tätigkeiten keine beruflichen Nachteile auf Dauer entstehen. Hier ist auch die Verantwortung der Arbeit-geber gefragt. Die Politik hat in diesem Bereich noch Handlungsspielräume, um durch Anreize und Initiativen Veränderungsdruck auszuüben bzw. Überzeugungsarbeit zu leisten, die sie bislang noch nicht ausgeschöpft hat.

4. Der überproportionalen Arbeitslosigkeit von Frauen

die oftmals durch eine familienbedingte Unterbrechung der Erwerbsarbeit hervorgerufen wurde, muss durch Programme entgegengewirkt werden, die diese auch während dieser Unterbrechung in den betrieblichen Ablauf einbindet und den Wiedereinstieg in den Beruf gewährleisten.

5. Die Befriedigung der wachsenden Nachfrage nach familienergänzenden und familienunterstützenden Angeboten für die Erziehung

Bildung und Betreuung von Kindern in allen Altersstufen ist die Voraussetzung dafür, dass eine bessere Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit realisiert werden kann. Insbesondere besteht ein erhebliches Defizit in folgenden Bereichen:

Für Kinder unter 3 Jahren ist ein institutionelles Angebotsnetz auszubauen (z.B. bedarfsgerechtes Angebot in altersgemischten Gruppen in Tageseinrichtungen für Kinder).
Eine gute Alternative zur institutionellen Betreuung (oder eine Ergänzung zu ihr), besonders für Kinder unter drei Jahren, ist die qualifizierte Tagespflege. Sie wird immer noch von der Landesregierung ignoriert, obwohl sie ein flexibles, preisgünstiges und in vielen Fällen für Kinder, Eltern und Tagesmütter ideal zugeschnittenes Angebot ist.
Die Tageseinrichtungen für Kinder müssen konzeptionell so weiterentwickelt werden, dass die unterschiedlichen Bedarfe der Kinder und Eltern flexibel umgesetzt werden können. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die Tagesbetreuung vermissen wir aber konzeptionelle Überlegungen. So muss gefragt werden, welcher Bedarfslage mit welchem Angebot und in welcher Zuständigkeit entsprochen werden kann. Es drängt sich der Eindruck auf, dass es einen nicht abgestimmten Mix an Angeboten geben wird, die auf der einen Seite in die Zuständigkeit des Bildungsministeriums fallen und auf der anderen Seite die Bestimmungen des KJHG betreffen. Bei den weiteren und notwendigen Überlegungen zur Ausgestaltung der Tageseinrichtungen erwarten wir eine stärkere Beteiligung der Familienverbände. Der geführte fachpolitische Diskurs und die Beratungen zur Weiterentwicklung der Tageseinrichtungen für Kinder lassen eine gebührende Berücksichtigung der Interessen von Kindern und ihren Eltern bislang noch nicht erwarten. Der Blick muss aber stärker genau auf diese Interessengruppen - als zentrale Nutznießer dieser Angebote - gerichtet werden. Unserem Wunsch nach vergleichbarer und verlässlicher Qualität bei den Betreuungsangeboten stehen ebenfalls die immer wieder diskutierten Kommunalisierungsbestrebungen entgegen. Wir hoffen - bezogen auf diesen Kontext jedenfalls - auf ein Ende dieser Diskussion.
Den Tageseinrichtungen für Kinder sollen künftig insofern eine weitergehende Bedeutung als bisher zukommen, als sie sich zu Orten für Kinder und Eltern weiterentwickeln sollen. Auf Dauer sind die angebotenen Öffnungszeiten nicht flexibel genug, um den tatsächlichen Betreuungsbedarf der Kinder und auch der Eltern abzudecken.
Der von uns begrüßte Ausbau der Plätze in den Tageseinrichtungen für Kinder und anderen Betreuungsangeboten für Schulkinder muss einhergehen mit der Einführung eines Konzeptes der "Erziehungspartnerschaft". Dies zielt nicht nur auf die direkte Zusammenarbeit zwischen Eltern und Personal der Einrichtung bzw. Lehrer (analog der Elternarbeit), sondern stützt und fördert auch das familiale System. So kann "Erziehungspartnerschaft" einerseits Qualitätsmerkmal der institutionellen Betreuung werden, da die Erfahrung und die Kompetenz der Eltern eingebunden werden, andererseits wird das Verantwortungsgefühl der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder gestärkt.
Nach wie vor fordern wir die Beitragsfreiheit für den Primarbereich des Bildungssystems, wie es Anfang der 80er Jahre noch erklärtes Ziel der Landesregierung war.
Es muss eine Bedarfsdeckung an Betreuungsangeboten für Kinder zwischen 6 und 14 Jahren angestrebt werden. Der Nachholbedarf beim Ausbau an Hortplätzen oder bei anderen gleich qualifizierten Nachmittagsangeboten ist eklatant. Dies hat die Landesregierung endlich auch festgestellt und erklärt, bis zum Jahr 2005 einen flächendeckenden Ausbau des Betreuungsangebotes für Schulkinder durch 200.000 zusätzliche Betreuungsplätze zu realisieren. Wir befürchten aber, dass dieser Ausbau auf Kosten der Qualität der Betreuung geht. Die geplante Bereitstellung von 50 Millionen DM für dieses ehrgeizige Ziel zeigt, dass hier offenbar Kostengesichtspunkte eindeutig Vorrang vor Qualitätsgesichtspunkten bei der Erziehung, Betreuung und Bildung unserer Kinder bekommen. Wir warnen vor pädagogischem Dumping bei dem geplanten Ausbau der Angebote. Man kann nicht einerseits ein Bündnis für Erziehung fordern vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung und andererseits Billigangebote genau für die ins Auge gefasste Zielgruppe flächendeckend schaffen. Diese falsche Weichenstellung wird sich in der Zukunft als kontraproduktiv erweisen.

6. Durch eine bessere Vernetzung der Jugendhilfe mit Schulen unter Einbeziehung der Eltern

müssen nicht nur bedarfsorientierte Angebote der Betreuung entwickelt werden, sondern diese Vernetzung ist notwendig, um die unterschiedlichen Maßnahmen aufeinander abzustimmen und die Kommunikation zwischen diesen Säulen zu verbessern. Die LAGF fordert den Ausbau eines flächendeckenden Netzes von Ganztagsschulen als freiwilliges Angebot. Dieser zeitgemäße Baustein des Schulwesens muss dem individuellen Bedarf von Kindern und ihren Familien ebenso zur Verfügung stehen wie qualifizierte Hortplätze und die unterschiedlichsten Freizeitangebote der Träger der Jugendhilfe. Die Schulbetreuungsangebote (SIT, 13 plus, Schule von 8-1) sind keine Kompensation des Unterrichtsausfalles und garantieren keine flächendeckende qualifizierte Betreuung.

Familienpolitik

...in der Landespolitik

Hierzu bedarf es einer permanenten Fortschreibung des Familienberichtes, damit Veränderungen in den heterogenen Lebensbedingungen von Familien dargestellt werden. Nur so können zeitnah Veränderungen im Sinne einer präventiven Familienpolitik erkannt und situationsangemessene Handlungsstrategien entwickelt werden. Die Landesregierung hat aber quasi stillschweigend die Fortschreibung ausgesetzt und verweist auf einige Spezialberichte, in denen die Situation bestimmter Personengruppen analysiert wurde. Diese Berichte sind zweifellos von sehr guter Qualität und fokussieren die Problemlagen von spezifischen Familienformen in angemessener Form, aber dennoch können sie einen Familienbericht, der eine ganzheitliche Betrachtung der Situation von Familien vornimmt, nicht ersetzen. Weiterhin bergen die Spezialberichte die Gefahr, Familienpolitik als Notlagenpolitik zu sehen. Die LAGF fordert den Ausbau einer umfassenden präventiven Familienförderpolitik.

Durch die Einführung eines Landesfamilienplans erhoffen wir uns Transparenz über die familienrelevanten Leistungsbereiche. Dort müssen Aussagen über Bedarfsfeststellungsprozesse und entsprechende Zielvorgaben formuliert werden. Der Familienbericht ist dabei zwingende Voraussetzung für die Erstellung eines solchen Förder-planes, um entsprechende Angaben liefern zu können. Der Landesfamilienplan doku-mentiert die Prioritäten in der Landesfamilienpolitik und ist somit Gegenstand der familienpolitischen Diskussion und fördert den Dialog.

Familienverträglichkeitsprüfungen können aus unserer Sicht ein probates Mittel gegen die strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber den Familien sein. Familienbelange müssen in allen Politikbereichen Berücksichtigung finden. Jedes Gesetzesvorhaben muss bezüglich der Auswirkungen auf Familien überprüft werden. Ferner erwarten wir bei der Zielformulierung und bei familienbezogenen Entschei-dungsprozessen eine Beteiligung und Mitsprache der Interessenvertreter von Familien.

Auch halten wir an unserer seit vielen Jahren bestehenden Forderung nach einem 3. Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz fest. So müsste gerade auf der Landesebene dafür Sorge getragen werden, dass die familienbezogenen Aufgabenfelder in den Kommunen umgesetzt werden (KJHG § 16 ff.).

... in der Kommunalpolitik

Die Diskussion um die neuen Steuerungsmodelle bieten außerdem gute und erfolgversprechende Ansatzpunkte für eine familienorientierte Gestaltung nicht nur der Kommunalpolitik. Wir erwarten, dass diese Diskussion von der Politik geführt wird. Wir sehen folgende Vorteile bei einem vorgenommenen Paradigmenwechsel in der Politiksteuerung: Statt durch hierarchische Eingriffe, Verfahrenskontrolle, Einzel-anweisungen können durch eine Demokratisierung von Leistungs- und Finanzzielen eine stärkere Einbindung der Bevölkerungsgruppen möglich gemacht werden. Politikziele werden dadurch transparent, schaffen Identität und führen tendenziell zu einem demokratisierten Gemeinwohl. Die neue Verwaltungssteuerung kann genutzt werden, um die traditionelle Binnenorientierung öffentlicher Verwaltung zu überwinden und über punktuelle Beteiligung von Kindern und Familien hinaus zu einer dauerhaften Beteiligung im Sinne einer Bürgerkommune zu gelangen. Gerade auf der kommunalen Ebene gibt es noch gravierende Unterschiede in der Qualität der Partizipation von Familien. Auch vor dem Hintergrund der gewollten Aktivierung von Selbsthilfepotentialen und des bürgerschaftlichen Engagements kommt dem Aufbau von innovativen Kommunikationsstrukturen besondere Bedeutung zu. Im Rahmen der Jugendhilfeplanung gibt es bewährte und innovative Konzepte der Beteiligung von Familien, Kindern und Jugendlichen, die aber noch verbessert werden können. Eine Umkehr von der sogenannten Regelsteuerung (Orientierung an rechtsorientierter Qualitätssicherung) hin zu einer Zielsteuerung (Zielbildung, Leitbildentwicklung und Ergebniskontrolle) kann zu einer aktiven Beteiligung an den Zielfindungsprozessen auf kommunaler Ebene führen.