„Die Lebensrisiken, die jeden Bürger treffen können, sind in einem einheitlichen System abzusichern: Alter, Krankheit, Pflege."

Jürgen Borchert - Landessozialrichter

Weltoffenheit

Heimat und Europa

Die Einbindung in Regionen, die Heimat sind, ist zugleich die wichtigste Voraussetzung dafür, dass sich Familien dem vereinten Europa als neuem Lebensraum mit neuen Perspektiven und Chancen öffnen können, in dem wir unsere nationale Identität leben und die der Nachbarn kennenlernen können.

Weltoffenheit setzt voraus, dass der einzelne sich in kleinen, überschaubaren, mitgestaltbaren Räumen und Netzwerken eingebunden weiß, die das Gefühl von Heimat, politischer Identifikation und persönlicher Identität vermitteln. Heimatgefühl gibt Stärke und Selbstbewußtsein. Wenn Vertrauen und Geborgenheit im kleinen Lebensraum fehlen, entstehen Mißtrauen und Angst gegenüber dem großen Lebensraum Europa - und Angst macht eng.

Diese Angst fühlen viele Familien: Sie fürchten, dass in fernen, supranationalen Gremien getroffene Entscheidungen, an denen sie nicht beteiligt werden und über die sie sich nur unzureichend informiert fühlen, ihre Lebensbedingungen als Verbraucher und als Arbeitnehmer verschlechtern werden. Sie fürchten, dass ihre strukturellen Eigenheiten und ihre familiären Bedürfnisse von anonymen Entscheidungsträgern nicht berücksichtigt werden. Und es ist nicht zuletzt die Furcht vor einer Verschlechterung des Status quo, vor einem Verlust an persönlicher Identität, die vielen Familien die Zuwanderung ausländischer Familien nach Deutschland als Bedrohung erscheinen läßt - statt sie als Chance für kulturelle Vielfalt und gegenseitiges Kennenlernen und Voneinanderlernen zu erkennen.

Der Deutsche Familienverband als engagierter Befürworter der europäischen Integration und als Verband aller Familien in Deutschland - und dazu zählen die ausländischen Familien ebenso selbstverständlich wie die deutschen - sieht es als seine Aufgabe an, immer wieder auf die Chancen der europäischen Integration hinzuweisen. Für die Zukunft des Kontinents, für die Erhaltung von Frieden in Freiheit und Wohlstand ist das weitere Zusammenwachsen Europas ohne Alternative, und Deutschland wird als Exportnation und als Land mit den meisten Grenzen und den meisten Nachbarn davon ganz besonders profitieren.

Gleichzeitig nimmt der Deutsche Familienverband die Ängste der Familien vor diesen Entwicklungen ernst und fordert politische Gegengewichte ein, die Familien das Bewußtsein der eigenen Identität, der Zugehörigkeit und der Einflußnahme und damit den Mut zur Weltoffenheit geben. Er versteht sich daher ebenso als Zusammenschluss von Familien vor Ort wie als politische Interessenvertretung auf europäischer Ebene.

Familien haben einen Anspruch darauf, dass Politik sich auf ihre regionale Heimat bezieht und dort ihre ganz konkreten Alltagsbedürfnisse berücksichtigt. Familienpolitik vor Ort gibt der Familienpolitik in Europa erst ihr Fundament. Der entscheidende Ausgleich - ja, die Grundvoraussetzung - für die Öffnung in den europäischen Lebensraum hinein ist die Stärkung der regionalen Bezüge. Die Erstzuständigkeit der Regionen, der kleinen Einheiten in der Europäischen Union ist als Ausprägung des bereits erwähnten Subsidiaritätsprinzips ausdrücklich sowohl in Artikel 28 des Grundgesetzes als auch im EU-Vertrag verankert.

Damit das "gemeinsame Haus Europa", in dem Familien leben können, auch ein Dach bekommt, braucht Europa außerdem gemeinsame Grundwerte, die aus einem rational begründbaren Wirtschaftsmodell ein Gesellschaftsmodell machen, mit dem sich Menschen wirklich identifizieren können. Ein solcher Grundwert ist Familie. Noch freilich tut sich die EU allein schon mit der Interpretation des Begriffs Familie schwer. Von einer europäischen Familienpolitik ist die Union noch weit entfernt - diese ist bis jetzt nicht über den Status einer unselbständigen Querschnittspolitik aus den Bereichen Binnenmarkt, Sozialpolitik, Berufsausbildung, Jugend, Gesundheitswesen, Verbraucherschutz und Umwelt hinausgekommen.

Europäische Familienpolitik kann und darf die familienpolitische Zuständigkeit der Einzelstaaten nicht ersetzen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, sicherzustellen, dass überall dort, wo europäische Politik Familien betrifft - und dies gilt bereits jetzt für weite Lebensbereiche -, Familienbelange Berücksichtigung finden und Familiengerechtigkeit verwirklicht wird. Eine solche Politik ist im Interesse aller Mitgliedstaaten. Denn sie alle stehen, ebenso wie Deutschland, vor der Herausforderung, die Rahmenbedingungen für familiäres Leben zu verbessern.

Zukunftsfähigkeit

Erhalten und Verändern

Das Lebensmodell für die Zukunft bleibt die Familie. Die bedingungslos mobile Ego-Gesellschaft, die bestenfalls Raum für Lebensabschnittgemeinschaften auf Zeit ohne Verbindlichkeit läßt, ist nicht die Lebensform, die sich junge Menschen wünschen.

Die Institution Familie hat in der Vergangenheit ihre Flexibilität bewiesen, sich immer wieder den teilweise rasanten gesellschaftlichen Wandlungen zu stellen, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren. Zwar haben sich die individuellen Lebensformen von Familien gewandelt, das gilt für die Familienform ebenso wie für die Rollen- und Aufgabenverteilungen innerhalb der Familie. Erhalten blieb bei allen Wandlungen der Wesenskern von Familie als Lebensgemeinschaft, die dauerhaft füreinander eintritt und die gerade angesichts gesellschaftlicher Veränderungen Halt und Sicherheit gibt. Und erhalten blieb die unersetzbare Bedeutung der Familie als Voraussetzung für die Erziehung der nächsten Generation.

Die in den Familien erzogenen Kinder sorgen dafür, dass Innovation und Erneuerung in alle Bereiche der Wirtschaft, Kultur und Politik hineingetragen werden. Keine technische Errungenschaft kann so viel zur Neugestaltung beitragen, wie dies dem Generationenwechsel fortlaufend gelingt.

Volkswirtschaften, die überaltern, verlieren ihre Innovationsfähigkeit, ihre Flexibilität und ihre Wettbewerbsfähigkeit. Gesellschaften, denen die Jugend fehlt, stehen nicht nur vor demographischen Problemen, die dem Generationenvertrag die Basis entziehen. Ihnen fehlt vor allem der Blick in die Zukunft. Sie sind in der Vergangenheit gefangen. Familien unterstützen demgegenüber die Zukunftsorientierung des politischen Denkens und Handelns, denn durch ihre generationenübergreifende Struktur ist Familie wesensmäßig auf Langfristigkeit angelegt. Die Sorge für Kinder schließt das Engagement für eine Sicherung der Lebensgrundlagen für die künftige Generation ein.

Familien sichern die Zukunft. Die Verwirklichung des Verfassungsanspruchs auf Schutz und Förderung der Institution Familie entscheidet damit über die Zukunftsaussichten von Staat und Gesellschaft. Wer die Zukunft gewinnen will, muss heute in eine Politik investieren, die jungen Menschen den Mut gibt, sich für ein Leben mit Kindern zu entscheiden, die die Lebensgemeinschaft Familie in ihrem Bestand schützt, wie es dem Anspruch der Verfassung entspricht, und sie in ihrem Wandel begleitet. Diese Politik muss langfristig verläßlich sein. Denn wer sich für Kinder entscheidet, entscheidet sich für eine lebenslange Verantwortung. Er braucht die Gewißheit, dass die Rahmenbedingungen für diese Lebensentscheidung sich nicht mit jeder Legislaturperiode ändern.

Zukunftsfähige Familienpolitik ist deshalb mehr als die Politik des hier und jetzt Machbaren und Finanzierbaren. Zukunftsfähige Familienpolitik denkt in langen Zeiträumen, über die Tagespolitik, die Legislaturperiode, die Interessen der heutigen Wählergeneration hinaus. Sie hat den Mut zu Visionen und die Kraft, diese Visionen gegen Interessen durchzusetzen, die über mehr politische Verhandlungsmacht verfügen als die Familien und ihre Interessenvertreter.

Politik für die Zukunft orientiert sich nicht am kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern an einem durchdachten Gesellschaftsmodell, dessen Zentrum die Familien bilden. Dieses Modell ist zugleich konservativ und progressiv. Es zielt auf die Erhaltung des Bewährten, um damit den Rahmen für Wandel und Fortschritt zu geben, ohne dass der innere Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet wird. Die Grundsätze des Deutschen Familienverbandes zeigen die Bausteine dieses familienorientierten Gesellschaftsmodells auf:

  • das Eintreten für die Familie als rechtsverbindliche Verantwortungsgemeinschaft, in der Solidarität und Individualität zwischen den Familienmitgliedern ihren Ausgleich finden,
  • das Bekenntnis zur Eigenverantwortung der kleinen Lebenseinheiten als notwendige Alternative zu einer nicht nur finanziell untragbaren, sondern auch unmenschlichen Vergesellschaftung aller individuellen Bedürfnisse,
  • die leistungsgerechte Anerkennung der in den Familien erbrachten Investition ins Humankapital,
  • die Gleichberechtigung unbezahlter und bezahlter Arbeit als Modell für eine neue Arbeitsgesellschaft,
  • die Rückbesinnung auf den heimatlichen Lebensraum und die Netzwerke der Geborgenheit, die Identität geben und Weltoffenheit ermöglichen

Diese Grundsätze weisen nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft.

 

Lebensräume

Öffentliche und private Räume

Familienleben braucht Raum - privaten Schutzraum, in dem es sich entfalten kann, und öffentliche Räume, in die hinein es sich öffnen kann und die die Bedürfnisse von Familien berücksichtigen. Die direkt erfahrbare Lebensumwelt setzt die Rahmenbedingungen für die Familienplanung und für das Gelingen der familiären Aufgaben, die von der Kindererziehung bis hin zur Solidarität und Hilfeleistung zwischen mehreren Generationen reichen. Ein zentrales Aufgabengebiet der Familienpolitik ist daher die Schaffung familiengerechter öffentlicher und privater Wohn- und Lebensräume.

Privaten Lebensraum schaffen bedeutet zunächst, Wohnraum zu schaffen und finanzierbar zu machen: Dort, wo Knappheit die Preise bestimmt, sind Familien aufgrund ihrer durch die Kinderkosten belasteten Einkommen die ersten, die vom Markt gedrängt werden. Ohne eine familienorientierte Wohnungsbauförderung und finanzielle Hilfen für einkommensschwache Familien (Wohngeld) lassen sich nicht einmal die Wohngrundbedürfnisse befriedigen.

Privater Lebensraum für Familien ist jedoch mehr als das sprichwörtliche Dach über dem Kopf. Die Gestaltung und die Gestaltbarkeit von Wohnraum entscheidet darüber mit, wie sich das Familienleben entwickelt und wie sich Kinder in der Familie entwickeln. Die Wohnung mit genormtem Grundriß im fünften Stock eines seelenlosen Geschoßbaus ist keine Familienwohnung, auch wenn die Quadratmeterzahl stimmt. Familiengerechtes Wohnen ist nicht nur eine Funktion der Wohnungsgröße, sondern vor allem abhängig vom Zuschnitt der Wohnung, der Spielraum für familiäres Miteinander und Rückzugsmöglichkeiten für die einzelnen Familienmitglieder bietet und sich flexibel den Bedürfnissen der jeweiligen Familie und der jeweiligen Familienphase anpassen läßt.

Flexibilität und passender Zuschnitt der privaten Räume setzen Mitgestaltung durch die Familie voraus, nicht die Planung für den anonymen Bewohner. Die eigene Gestaltung des privaten Raums ist dort am besten möglich, wo das Heim ein Familienheim ist - im besten Sinne des Wortes. Wohneigentum schafft zugleich Lebenssicherheit - nicht zuletzt als Vorsorge für das Alter. Kernstück der wohnungspolitischen Zielsetzungen des Deutschen Familienverbandes ist daher ein ausgewogenes Verhältnis von Wohneigentum zu Mietwohnraum; dies bedeutet auch die Ausgewogenheit der gesamten steuerlichen Förderung und der Sozialen Wohnungsbauförderung für Wohneigentum einerseits und Mietwohnungen andererseits. Eine Subjektförderung, die direkt bei der Familie ankommt und ihr die Kraft gibt, sich eigenständig Wohnraum zu schaffen, ist nicht nur effizienter als eine Objektförderung. Sie stärkt auch die Eigenverantwortung und entspricht damit dem Subsidiaritätsprinzip.

Der Lebensraum Familie hört nicht an der Haustür auf. Er wird mitbestimmt durch die Wohnlage, die Nachbarschaft, das Wohnviertel, die Verkehrsanbindungen - durch die Gestaltung der öffentlichen Räume, die entscheidend von einer familienorientierten Städteplanung abhängt. Die Enklave von Einfamilienhäusern auf der grünen Wiese - alle gleich und alle gleich weit weg sowohl von städtischer Infrastruktur, Gewerbe und Arbeitsplätzen als auch von dörflicher Struktur und Gemeinschaft - isoliert Familien vom öffentlichen Raum und zwingt sie zu einem ständigen "Pendelverkehr", der Zeit, Kraft und Geld kostet und damit ebenso familien- wie umweltfeindlich ist.

Familie braucht Privatheit und Privatraum - und sie braucht die Einbindung in eine gemischte Nachbarschaft, in der sich Gemeinschaft mit anderen Familien, mit alten Menschen, mit Kinderlosen leben läßt, in der sich Möglichkeiten der gegenseitigen Hilfestellung und der gegenseitigen Begegnung ergeben. Sie braucht die Integration in ein Wohnquartier, das zugleich Lebensquartier ist und in dem sich ein Gefühl von heimatlicher Verbundenheit entwickeln kann. Sie braucht eine Verkehrspolitik, die Straßen zu sicheren Lebensräumen nicht zuletzt für Kinder macht, und eine Stadtplanung, die Wohnen und Arbeiten wieder zusammenwachsen läßt.

Familienlebensraum schaffen wird damit zu einer politischen Aufgabe, die nicht nur den Bund und die Länder betrifft, sondern vor allem in den Städten und Gemeinden geleistet werden muss. Kommunalpolitische Entscheidungen betreffen die Lebensumwelt von Familien unmittelbar, sie bestimmen über die Wohn- und Arbeitsbedingungen und das Angebot an familienunterstützenden Dienstleistungen. Die organisatorischen Strukturen der Kommunalpolitik bestimmen darüber, wie stark familiäre Bedürfnisse in öffentlichen Lebensräumen berücksichtigt werden und ob sich Familien aktiv an der Gestaltung dieser Lebensbedingungen beteiligen und dadurch ein Gefühl der politischen Identifikation mit ihrer unmittelbaren Heimat entwickeln können.

Als "DFV vor Ort" versteht sich der Deutsche Familienverband daher als Interessenvertreter der Familien gegenüber der örtlichen und regionalen Politik. Bei der Einforderung einer familiengerechten Politik gilt hier übrigens ebenso wie auf Bundesebene der selbstbewußte Grundsatz:

Wer Familien stärkt, stärkt damit das Gemeinwesen und betreibt Standortpolitik im besten Sinne.

Denn nicht nur die Familie braucht öffentliche Räume, in denen Platz für ihre Bedürfnisse ist. Auch die öffentlichen Räume brauchen Familien, vor allem junge Familien, die sie mit Leben füllen. Familien sind Steuerzahler, Arbeitskräfte und Nachfrager, als Verwandtschaftsnetze entlasten sie Städte und Gemeinden von Pflege- und Versorgungsaufgaben. Eine Stadt, die Gewerbeflächen statt Wohnbauland ausweist, die es zuläßt, dass Stadthäuser nur noch für Ladenketten erschwinglich sind und aus der die Familien wegen zu hoher Boden- und Mietpreise ins Umland abwandern, verliert ihre Lebendigkeit und ihre soziale Infrastruktur. Familiengerechte Stadtplanung ist damit nicht nur Ausdruck des grundgesetzlich zugesicherten Schutzes von Familie, sondern ebensosehr ein notwendiger Bestandteil zukunftsfähiger Kommunalpolitik.

Bildung

Bildung durch die Familie - Bildung für die Familie

In der modernen und pluralistischen Gesellschaft haben tradierte Familienleitbilder an Prägekraft verloren; an die Stelle biographischer "Selbstverständlichkeiten" treten immer stärker Einzelentscheidungen zwischen einer unübersichtlichen Vielzahl von konkurrierenden Lebensentwürfen. Hieraus entsteht unvermeidlich ein enormes Spannungspotential für Menschen, die sich entschließen, eine dauerhafte Bindung einzugehen und eine lebenslange Verpflichtung für Kinder zu übernehmen. Die Anforderungen an die Familie insgesamt, an die Verwirklichung des eigenen Lebensglücks in der Gemeinschaft, an die Partnerschaft und an die Elternschaft sind stetig gewachsen. Familiäres Zusammenleben muss heute viel stärker als früher "gelernt" werden.

Der erste Ort, an dem Familienleben gelernt wird, ist noch immer die Familie selbst. Es gibt keine bessere Vorbereitung auf eine spätere eigene Familiengründung als gute Erfahrungen in der Herkunftsfamilie. Bildung im Sinne der Ausbildung von Lebenskompetenz - von Verantwortungsbewußtsein, Bindungsfähigkeit und Verläßlichkeit - ist in erster Linie Bildung durch die Familie: Kinder lernen in der Familie Durchsetzungsfähigkeit und Rücksichtnahme, Selbstvertrauen und Vertrauen in andere, Kreativität und Phantasie. In der Familie werden emotionale Intelligenz und Stabilität geprägt, die für ein geglücktes Leben und die Bewältigung von Problemen ebenso wichtig sind wie der Erwerb von Allgemeinwissen und berufspraktischen Qualifikationen.

Aber: Nicht jede Familie ist immer gleich stark, und nicht jede Familie ist von Anfang an stark. Bildung in der Familie braucht deshalb die Ergänzung durch Bildung für die Familie, die Familien behutsam dabei unterstützt, ihre eigenen Stärken zu entdecken und in Belastungssituationen auf eigene Ressourcen und Selbstheilungskräfte zurückgreifen zu können. Öffentliche Mittel, die in eine so verstandene Familienbildung investiert werden, sind gut angelegt. Denn sie stärken die Leistungsfähigkeit der Familie und bewahren die Familie selbst und die gesamte Gesellschaft vor sehr viel teureren, schmerzhaften Folgekosten einer dauerhaften Überforderung.

In diesem Sinne handelt der Deutsche Familienverband als freier, unabhängiger und familiennaher Träger von Bildungs- und Beratungsangeboten. Auf ehrenamtlicher Basis rekrutieren sich die Multiplikatoren der Familienbildung im Deutschen Familienverband aus den Reihen der Familien selbst. Sein Grundsatz ist es dabei, Familien als lebenskompetente Partner wahrzunehmen, die nicht hilflos und passiv professionellen Helfern gegenüberstehen. Der Prozeß des Lernens ist keine Einbahnstraße.

Wie für die Familienpolitik insgesamt, gilt auch für die Familienbildung: Familie ist eine Gemeinschaft. Wirkungsvolle Bildungsmaßnahmen müssen deshalb alle Familienmitglieder einbeziehen: die Mütter, die Kinder und in stärkerem Umfang als bisher auch die Väter. Familienbildung als Vermittlung von Lebenskompetenz ist um so wirkungsvoller, je früher sie ansetzt. Orientierungshilfen über das Leben in Familie sollten wertorientiert und unter Mitwirkung der Eltern bereits in der Schule, am besten bereits im Kindergarten vermittelt werden.

Familie ist (mindestens) das halbe Leben - die Vermittlung von Wissen über ein Zusammenleben, das Konflikte bewältigt und Gewalt vermeidet, über partnerschaftliche Arbeitsteilung, über Kindererziehung und Haushaltsführung ist deshalb (mindestens) ebenso wichtig wie die Vermittlung von typischen Schulkenntnissen. Auch dies gilt nicht nur für Mädchen als potentielle spätere Mütter, sondern ganz genauso für Jungen als mögliche spätere Väter.

Familienbildung reicht darüber hinaus weit in andere gesellschaftliche Bildungs- und Informationsstrukturen. Sie ist damit zugleich öffentliche Bewußtseinsbildung für eine familiengerechte Lebensgestaltung. Auch der Arbeitnehmerweiterbildung im Rahmen der betrieblichen Bildungspolitik und nicht zuletzt den Medien erwächst daraus ein verantwortungsvolles Aufgabenfeld.

Arbeit

Familienarbeit - Erwerbsarbeit

Neben einem die verschiedenen Lebensphasen von Eltern übergreifenden Leistungsausgleich für Familien ist die zweite große Aufgabe der Familienpolitik, die Welt der Erwerbstätigkeit wieder mit der Welt der Familientätigkeit zusammenzubringen, so dass beiden Elternteilen die Teilhabe an beiden Tätigkeitsbereichen möglich ist.

Industrialisierung und arbeitsteilige Marktwirtschaft haben die räumliche Einheit von Familie und Erwerb aufgelöst und das Familienleben "halbiert": Haushalt und Kindererziehung - der Innenbereich - wurden getrennt von Erwerbsleben und Außenbereich. Familienzeit wurde reduziert auf die Zeit, die die Erwerbsarbeit übrig läßt.

Halbiert wurde auch die gesellschaftliche Vorstellung von nützlicher und produktiver Tätigkeit: Nur die bezahlte Erwerbsarbeit ist Quelle für existenzsicherndes Einkommen, soziale Sicherung, gesellschaftliches Prestige und das Bewußtsein der eigenen Leistungsfähigkeit. Die zweite Hälfte der Arbeit, die Familienarbeit in ihrer ganzen umfassenden Form - von der Pflege und Erziehung der Kinder und der Führung des Haushalts bis hin zur Pflege von Alten und Kranken und zu den freiwillig erbrachten Hilfestellungen in der Nachbarschaft und in ehrenamtlichen Hilfsorganisationen - wurde aus dem öffentlichen Bewußtsein weitgehend ausgeblendet, da sie außerhalb des Marktes und ohne Preisbildung erbracht wird.

Laut dem 5. Familienbericht investieren Eltern von zwei Kindern allein in den monetären Unterhalt bis zur Volljährigkeit bis zu einer halben Million DM. Hinzu kommen die Unterhalts- und Ausbildungskosten für volljährige Kinder sowie Einkommensausfälle und deutlich geringere Rentenansprüche durch den teilweisen Verzicht auf Erwerbstätigkeit zugunsten der Kindererziehung.

Diese Halbierung des Arbeitsbegriffs und des familiären Lebenszusammenhangs liegt letztlich allen Konflikten zwischen Familie und Erwerb zugrunde. Und sie ist nicht zuletzt auch Hauptursache für die gesellschaftliche, wirtschaftliche und sozialrechtliche Benachteiligung der Frau - denn es sind vor allem Frauen, die den Großteil der unbezahlten Arbeit leisten.

Alle Vorstellungen und Forderungen des Deutschen Familienverbandes zu einer neuen Symmetrie zwischen Familienarbeit und Erwerbsarbeit und zu einer gesellschaftlichen Gleichstellung von Frauen basieren daher auf der gleichwertigen Anerkennung von Erwerbstätigkeit und Familientätigkeit, von Erwerbszeit und Familienzeit. Die familiengerechte Arbeitsgesellschaft braucht einen neuen, ganzheitlichen Arbeitsbegriff, der alle Formen der gesellschaftlich nützlichen Arbeit erfaßt und dabei auch die in den Familienhaushalten erbrachten Leistungen, die, in Arbeitslohn umgerechnet, zwei Drittel des Bruttosozialproduktes ausmachen, einbezieht. Veränderungen beginnen im Kopf: Im Unternehmen, im Kollegenkreis, in den Sozialversicherungssystemen, beim Gesetzgeber und auch innerhalb der Familie zwischen den Partnern werden Veränderungen, die Vätern und Müttern eine Vereinbarung von Familie und Erwerb erleichtern, erst dann möglich sein, wenn beide Formen der Arbeit als gleichwertig anerkannt sind.

Eine Politik für Familien, die auf dem Prinzip der Gleichberechtigung von Lebens- und Arbeitsformen basiert, zielt nicht darauf ab, Frauentätigkeit zwangsweise auf den Innenbereich der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung zu reduzieren. Insbesondere junge Frauen wünschen sich Familie und Erwerbstätigkeit - sei es gleichzeitig, sei es phasenversetzt. Wird ihnen diese Option versperrt, geht das auf Kosten der Lebenszufriedenheit - oder es führt zur Entscheidung gegen Kinder. Der Deutsche Familienverband lehnt allerdings ebenso eine politische Strategie ab, die die lebenslange und beidseitige Vollzeiterwerbstätigkeit aller Eltern zum Ziel hat und damit die Erziehung und Betreuung der Kinder völlig aus dem Innenraum Familie in öffentliche Institutionen verlagert. Vereinbarkeitspolitik muss vielmehr eine Politik der Wahlfreiheit sein, die sich an den tatsächlichen Wünschen und Bedürfnissen von Familien ausrichtet. Familie lebt in vielen Formen - von Alleinerziehenden bis zu Mehr-Kinder-Familien -, die jeweils sehr unterschiedliche Bedürfnisse einer Vereinbarung von Familie und Erwerb haben. Auch innerhalb einer Familie ändern sich diese Bedürfnisse mit dem Alter der Kinder. Diesen Anforderungen wird nur eine Vielfalt gestaltender Maßnahmen gerecht, nicht ein einzelnes Modell. Vereinbarkeitspolitik muss vielmehr eine Politik der Wahlfreiheit sein, die sich an den tatsächlichen Wünschen und Bedürfnissen von Familien ausrichtet. Familie lebt in vielen Formen - von Alleinerziehenden bis zu Mehr-Kinder-Familien -, die jeweils sehr unterschiedliche Bedürfnisse einer Vereinbarung von Familie und Erwerb haben. Auch innerhalb einer Familie ändern sich diese Bedürfnisse mit dem Alter der Kinder. Diesen Anforderungen wird nur eine Vielfalt gestaltender Maßnahmen gerecht, nicht ein einzelnes Modell.

Kinderbetreuungsangebote sind ein Teil dieses Maßnahmenbündels - aber nicht das einzige, und nicht in jedem Alter das richtige. Kinder brauchen den Schutzraum Familie, sie brauchen Zeit und elterliche Präsenz - dies gilt in besonders starkem Maße für die ersten Lebensjahre (siehe "Subsidiarität"). Familienleben braucht Zeit - gemeinsam verbrachte Familienzeit und Zeit, die flexibel dann vorhanden ist, wenn die einzelnen Familienmitglieder sie benötigen. Das starre Zeitschema einer Vollzeitarbeit in einem "Normalarbeitstag" gewährt diese Flexibilität nicht.

Der Deutsche Familienverband setzt sich daher für eine grundsätzliche Flexibilisierung der Arbeitszeit ein, die Raum für Familienzeit und darüber hinaus z.B. auch für ehrenamtliche Arbeit gibt. Die flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit beginnt etwa mit der Möglichkeit für junge Väter, auch in der Phase der beruflichen Integration, die in der Regel mit der Phase der Familiengründung und der Erziehung kleiner Kinder zusammenfällt, zugunsten der Familienzeit kürzer treten zu dürfen, ohne dass ihnen für immer die berufliche Entwicklung versperrt ist. Sie setzt sich fort in familiengerechten Teilzeitangeboten, die über den "Halbtagsjob " weit hinausgehen und auch die Wochen- und Monatserwerbszeit und den qualifizierten Bereich in den Blick nehmen - und zwar sowohl für Männer wie für Frauen. Und Flexibilisierung heißt schließlich auch, dass es Raum für Umstiege zwischen Familienphasen und Erwerbsphasen gibt. Dazu muss Erwerbsarbeit gleichmäßiger auf die Lebenszeit verteilt werden, sie darf sich nicht länger auf jene Lebensjahre konzentrieren, die zugleich die "Familienjahre" sind.

Damit mehr Familienzeit nicht automatisch weniger soziale Sicherheit bedeutet, muss sich die Gleichwertigkeit von Familienarbeit und Erwerbsarbeit allerdings in der arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Gleichstellung von Vollzeit- oder Teilzeit-Erziehungsphasen mit Erwerbsarbeit konkretisieren

Die scharfe Trennung von Familienwelt und Erwerbswelt zu mindern, schafft nicht nur Spielräume für Familien. Sie ist zugleich im Interesse der Wirtschaft. Unternehmen profitieren in hohem Maße von dem emotionalen Rückhalt, den Familiengebundenheit ihren Arbeitnehmern sichert. Eine Personalpolitik, die sich nicht am räumlich und zeitlich bedingungslos mobilen, bindungslosen einzelnen, sondern am familieneingebundenen Menschen ausrichtet, wird zunehmend als Chance zur Steigerung von Motivation und damit von Produktivität erkannt.

Zu diesem Eigeninteresse muss allerdings - insbesondere in konjunkturschwachen Zeiten - das Bewußtsein der gesellschaftlichen Verantwortung für Familie treten, die letztendlich über die Erziehung ihrer Kinder auch die Zukunft des Wirtschaftsstandortes trägt. Der Gesetzgeber hat in diesem Sinne die Pflicht, rechtliche Rahmenregelungen zu schaffen, die Vereinbarkeit ermöglichen.