„Bei Familien kumulieren und kulminieren die Verteilungsfehler des Systems, die alle Arbeitnehmer in der unteren Hälfte treffen – je schwächer, umso brutaler."

Jürgen Borchert - Landessozialrichter

Bildung

Bildung durch die Familie - Bildung für die Familie

In der modernen und pluralistischen Gesellschaft haben tradierte Familienleitbilder an Prägekraft verloren; an die Stelle biographischer "Selbstverständlichkeiten" treten immer stärker Einzelentscheidungen zwischen einer unübersichtlichen Vielzahl von konkurrierenden Lebensentwürfen. Hieraus entsteht unvermeidlich ein enormes Spannungspotential für Menschen, die sich entschließen, eine dauerhafte Bindung einzugehen und eine lebenslange Verpflichtung für Kinder zu übernehmen. Die Anforderungen an die Familie insgesamt, an die Verwirklichung des eigenen Lebensglücks in der Gemeinschaft, an die Partnerschaft und an die Elternschaft sind stetig gewachsen. Familiäres Zusammenleben muss heute viel stärker als früher "gelernt" werden.

Der erste Ort, an dem Familienleben gelernt wird, ist noch immer die Familie selbst. Es gibt keine bessere Vorbereitung auf eine spätere eigene Familiengründung als gute Erfahrungen in der Herkunftsfamilie. Bildung im Sinne der Ausbildung von Lebenskompetenz - von Verantwortungsbewußtsein, Bindungsfähigkeit und Verläßlichkeit - ist in erster Linie Bildung durch die Familie: Kinder lernen in der Familie Durchsetzungsfähigkeit und Rücksichtnahme, Selbstvertrauen und Vertrauen in andere, Kreativität und Phantasie. In der Familie werden emotionale Intelligenz und Stabilität geprägt, die für ein geglücktes Leben und die Bewältigung von Problemen ebenso wichtig sind wie der Erwerb von Allgemeinwissen und berufspraktischen Qualifikationen.

Aber: Nicht jede Familie ist immer gleich stark, und nicht jede Familie ist von Anfang an stark. Bildung in der Familie braucht deshalb die Ergänzung durch Bildung für die Familie, die Familien behutsam dabei unterstützt, ihre eigenen Stärken zu entdecken und in Belastungssituationen auf eigene Ressourcen und Selbstheilungskräfte zurückgreifen zu können. Öffentliche Mittel, die in eine so verstandene Familienbildung investiert werden, sind gut angelegt. Denn sie stärken die Leistungsfähigkeit der Familie und bewahren die Familie selbst und die gesamte Gesellschaft vor sehr viel teureren, schmerzhaften Folgekosten einer dauerhaften Überforderung.

In diesem Sinne handelt der Deutsche Familienverband als freier, unabhängiger und familiennaher Träger von Bildungs- und Beratungsangeboten. Auf ehrenamtlicher Basis rekrutieren sich die Multiplikatoren der Familienbildung im Deutschen Familienverband aus den Reihen der Familien selbst. Sein Grundsatz ist es dabei, Familien als lebenskompetente Partner wahrzunehmen, die nicht hilflos und passiv professionellen Helfern gegenüberstehen. Der Prozeß des Lernens ist keine Einbahnstraße.

Wie für die Familienpolitik insgesamt, gilt auch für die Familienbildung: Familie ist eine Gemeinschaft. Wirkungsvolle Bildungsmaßnahmen müssen deshalb alle Familienmitglieder einbeziehen: die Mütter, die Kinder und in stärkerem Umfang als bisher auch die Väter. Familienbildung als Vermittlung von Lebenskompetenz ist um so wirkungsvoller, je früher sie ansetzt. Orientierungshilfen über das Leben in Familie sollten wertorientiert und unter Mitwirkung der Eltern bereits in der Schule, am besten bereits im Kindergarten vermittelt werden.

Familie ist (mindestens) das halbe Leben - die Vermittlung von Wissen über ein Zusammenleben, das Konflikte bewältigt und Gewalt vermeidet, über partnerschaftliche Arbeitsteilung, über Kindererziehung und Haushaltsführung ist deshalb (mindestens) ebenso wichtig wie die Vermittlung von typischen Schulkenntnissen. Auch dies gilt nicht nur für Mädchen als potentielle spätere Mütter, sondern ganz genauso für Jungen als mögliche spätere Väter.

Familienbildung reicht darüber hinaus weit in andere gesellschaftliche Bildungs- und Informationsstrukturen. Sie ist damit zugleich öffentliche Bewußtseinsbildung für eine familiengerechte Lebensgestaltung. Auch der Arbeitnehmerweiterbildung im Rahmen der betrieblichen Bildungspolitik und nicht zuletzt den Medien erwächst daraus ein verantwortungsvolles Aufgabenfeld.