„Der Mindestlohn schließlich ist auch nur ein Notbehelf, das Pflaster auf der Wunde sozusagen, und lässt die Ursachen der Verletzungen völlig unberührt."

Jürgen Borchert - Landessozialrichter

Leistungsträger

Leistung und Gerechtigkeit

Erstes Handlungsfeld einer familienorientierten Gesellschaftspolitik ist die Herstellung von Leistungsgerechtigkeit für Familien, die die Generationenfolge und damit das Humankapital der Zukunft sichern und zugleich die Kontinuität unserer wirtschaftlichen und sozialen Kultur garantieren.

In einem am Subsidiaritätsprinzip ausgerichteten Staat nimmt Familienpolitik ihren Ausgang bei den Betroffenen selbst. Familien müssen sich organisieren, ihre Probleme anpacken und ihre Interessen in Gesellschaft und Staat selbst vertreten können. Geeignete Organisationen sind dabei Zusammenschlüsse von Familien wie der Deutsche Familienverband, die als erstzuständige politische Vertreter und Selbsthilfebewegung der Familien anerkannt und unterstützt werden müssen.

Die Kinder, die heute nicht geboren und in den Familien zu gemeinschaftsfähigen Menschen erzogen werden, fehlen morgen als tragende Säule des Gemeinwesens, z.B. als Steuer- und Beitragszahler und als qualifizierte Arbeitskräfte. Dieser Zusammenhang, der angesichts des demographischen Wandels zunehmend ins öffentliche Bewußtsein tritt, zeigt die enorme Bedeutung, die Unterhalt, Betreuung, Pflege und Erziehung der Kinder für die Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme sowie für die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft und damit für die Zukunftsfähigkeit des Lebensraumes und des Wirtschaftsstandortes haben. Die in den Familien erbrachten Leistungen stellen - ökonomisch ausgedrückt - einen enormen externen Nutzen für die gesamte Gesellschaft dar.

Laut dem 5. Familienbericht investieren Eltern von zwei Kindern allein in den monetären Unterhalt bis zur Volljährigkeit bis zu einer halben Million DM. Hinzu kommen die Unterhalts- und Ausbildungskosten für volljährige Kinder sowie Einkommensausfälle und deutlich geringere Rentenansprüche durch den teilweisen Verzicht auf Erwerbstätigkeit zugunsten der Kindererziehung.

Vor der Einführung einer kollektiven sozialen Absicherung war der Zusammenhang zwischen der Investition in die Kindheit und der Sicherung der persönlichen Zukunft noch deutlich erkennbar. Nur wer Erben hatte und sie zur Übernahme der Verantwortung befähigte, konnte den Hof, den Handwerksbetrieb etc. weitergeben und im Alter mit der Absicherung seiner Existenz rechnen. Das Lebenseinkommen eines jeden mußte zwischen der Befriedigung eigener Bedürfnisse, der Sorge für die noch nicht Arbeitsfähigen und der Sorge für die nicht mehr Arbeitsfähigen aufgeteilt werden. Kinderlose Verwandte verdingten sich bei der eigenen Familie, um mehr schlecht als recht ihr Dasein fristen zu können.

An diesem Generationenzusammenhang hat sich im Prinzip nichts geändert. Er wurde lediglich aus dem familiären Rahmen ins Gesamtgesellschaftliche und Gesamtökonomische verlagert. Die jeweils aktive Generation unterhält nunmehr durch ihre Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht nur die eigenen Eltern, sondern die gesamte Altengeneration unabhängig von der Erziehungsleistung der einzelnen. Denn nach wie vor muß aller Sozialaufwand stets aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden.

Für die Renten"versicherung" heißt das: Die Beiträge der heute Erwerbstätigen werden nicht als Versichertenfonds angespart oder angelegt, sondern direkt in Form von Rente an die vorangegangene Generation abgeführt. Die Beiträge haben also keine direkte Beziehung zur späteren eigenen Rente der Beitragszahler. Sie sind vielmehr die Gegenleistung für Investitionen, die die ältere Generation in die Aktivengeneration geleistet hat. Sie sind damit auch keine Versicherungsbeiträge im eigentlichen Sinn.

Allerdings ist das Verständnis für den Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung der Generationen untereinander weitgehend verlorengegangen. Ursächlich dafür ist zum einen ein ökonomischer Leistungsbegriff, der sich auf die Industrieproduktion verengt hat und die Haushaltsproduktion ausklammert (siehe dazu auch "Arbeit"). Und ursächlich ist vor allem die "schiefe" Konzeption der gesetzlichen Alterssicherung, in der lediglich die Aufgabe der Sicherung des Alterseinkommens vergesellschaftet wurde, die Aufgabe der Erziehung von Kindern und damit die Sicherung des "Deckungskapitals" des umlagefinanzierten, auf dem Generationenvertrag aufbauenden Systems aber in den Familien privatisiert blieb.

Diese Fehlkonstruktion des auf nur zwei Generationen abstellenden Generationenvertrages hat äußerst leistungsschädliche Folgen für Familien: Während sie ihr Lebenseinkommen nach wie vor zwischen Kindern und alten Menschen aufteilen, entsteht Kinderlosen, die nur eine dieser beiden Leistungen erfüllen, automatisch ein Einkommensvorteil. Weil der Rentenanspruch sich vor allem aus monetären Rentenbeiträgen errechnet und die Kindererziehung als generativen Rentenbeitrag nur unzureichend anerkennt, setzt sich dieser Einkommensvorteil im Alter fort - eine Schieflage, auf die das Bundesverfassungsgericht 1992 eindeutig hingewiesen hat.

Die Vergesellschaftung des Generationenvertrages führt zu lebenslangen Einkommensüberhängen von Menschen ohne Kinder bzw. "Kinderarmen" gegenüber Eltern von mehreren Kindern. Dies wird für Familien um so stärker spürbar, je mehr Menschen ohne Unterhaltsverpflichtung mit ihrer höheren Kaufkraft die Preise auf allen Märkten bestimmen. Die individuelle wirtschaftliche Benachteiligung von Familien wächst damit in dem Maße, in dem das "Gut" Kind seltener und damit für die Gesellschaft kostbarer wird.

Auf diesem Auseinanderklaffen zwischen individuellen Kosten für Kinder und kollektivem Nutzen von Kindern gründen die Forderungen des Deutschen Familienverbandes zu einem Leistungsausgleich für Familien, der lebensphasenübergreifend Markt- und Leistungsgerechtigkeit für Familien schafft und Einkommensnachteile von Familien in allen Einkommensschichten ausgleicht. Leistungsausgleich für Familien ist somit nichts anderes als der Gegenwert für die von den Familien erbrachten Leistungen und klar zu unterscheiden von wohlfahrtsstaatlichen Vergünstigungen.

Vorausgehen muß diesem Ausgleich Steuergerechtigkeit für alle Familien, d.h. die Freistellung des gesetzlich geschuldeten Kindesunterhalts sowie des Erziehungs- und Betreuungsbedarfs von der direkten und indirekten Besteuerung. Sie dient der Vermeidung von verfassungs- und subsidiaritätswidrigen staatlichen Eingriffen in die Familienautonomie. Die Bindewirkung dieses Eingriffsverbotes, das als einklagbares Recht unabhängig von der jeweiligen Haushaltslage gilt, hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigt. Die Herstellung von Steuergerechtigkeit gehört nicht zum Leistungsausgleich für Familien und darf mit diesem nicht gegengerechnet werden. Dies erfordert eine klare Trennung von steuerlichen Freibeträgen und Kindergeldleistungen.

Startgerechtigkeit für junge Familien erfordert einen Leistungsausgleich über ein echtes Kindergeld, das nicht Steuervergünstigung, sondern Transfer ist.

Lebensgerechtigkeit ist verwirklicht, wenn Erziehungsleistung und Erwerbsarbeit in der Alterssicherung gleichberechtigt anerkannt werden und Eltern im Alter nicht länger wirtschaftlich schlechter gestellt sind, weil sie wegen der Erziehung von Kindern teilweise oder längerfristig auf eine Erwerbstätigkeit verzichten mußten. Im geltenden umlagefinanzierten Alterssicherungssystem muß Rente auch Lohn für die Lebensleistung Kindererziehung sein.