„Wie wir die Dinge auch drehen und wenden: Am Anfang muss die Einsicht stehen, dass der Sozialstaat alter Konstruktion am Ende ist!"

Jürgen Borchert - Landessozialrichter

Familienpolitik

Verfassungsauftrag und Verfassungswirklichkeit

Aufgabe der Politik ist es, den Verfassungsanspruch auf Schutz der Familie durch die staatliche Ordnung in die Verfassungs- und Rechtswirklichkeit umzusetzen. Eine Familienpolitik, die dieser Aufgabe gerecht wird, ist notwendigerweise eine gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe, die sich nicht auf eine einzelne Ressortzuständigkeit oder einzelne politische Ebenen begrenzen läßt. Familienpolitisch verantwortlich sind nicht nur die Gesetzgeber im Bund und den Ländern, sondern ebenso die Kommunen, die über das unmittelbare Lebensumfeld von Familien bestimmen, die Tarifpartner, denen staatliche Regelungsbefugnis für die Gestaltung der Arbeitswelt übertragen ist, die Wirtschaftsunternehmen und die Akteure auf dem Wohnungsmarkt, die Einfluß auf die Ausgestaltung der Wohn- und Lebensbedingungen von Familien haben.

In einem am Subsidiaritätsprinzip ausgerichteten Staat nimmt Familienpolitik ihren Ausgang bei den Betroffenen selbst. Familien müssen sich organisieren, ihre Probleme anpacken und ihre Interessen in Gesellschaft und Staat selbst vertreten können. Geeignete Organisationen sind dabei Zusammenschlüsse von Familien wie der Deutsche Familienverband, die als erstzuständige politische Vertreter und Selbsthilfebewegung der Familien anerkannt und unterstützt werden müssen.

Für den Deutschen Familienverband ist Familienpolitik eine Politik für die ganze Familie. Das setzt nicht das Recht des einzelnen Familienmitglieds auf persönliche Freiheit und seinen Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe an allen Lebensbereichen außer Kraft. Aber ebensowenig reduziert sich Familie auf einen "Treffpunkt individueller Rechte". Erst gemeinsam bilden die Rechte des Individuums und das Recht der Gemeinschaft den Spannungsbogen zwischen Individualität und Solidarität, in dem sich die grundgesetzliche Ordnung hält.

Solidarität heißt: Sich mit den anderen verbunden fühlen, sich gegenseitig stützen und sich gemeinsam für ein Ziel einsetzen und dadurch zugleich die eigenen Grenzen wahrnehmen und die anderen nicht überfordern. Individualität, der dieses Gegengewicht fehlt, wird zum Egoismus auf Kosten des Schwächeren und letztlich der gesamten Gesellschaft.

Genau diese Balance zwischen "Ich" und "Wir" muß zuallererst in der Familie verwirklicht und vermittelt werden. Angesichts der zahlreicher werdenden Lebensoptionen für den einzelnen kann diese Spannung zwischen individueller Entfaltung und solidarischem Miteinander und Füreinander nur gelebt und ausgehalten werden, wenn der Familie insgesamt und ihren einzelnen Mitgliedern genügend Handlungsspielräume zur Verwirklichung individueller Lebensentwürfe offenstehen, ohne dass dabei die Einheit der Familie und das Wohl des Schwächsten ihrer Glieder, des Kindes, Schaden nehmen.

Politik, die sich am Schutz des Kindes orientiert, beginnt stets mit dem Schutz und der Förderung des familiären Zusammenlebens, das den Lebensraum des Kindes bildet. So ist zum Beispiel die beste Strategie einer Bekämpfung der Armut von Kindern eine Politik, die der ganzen Familie zu wirtschaftlicher Autonomie verhilft. Ebenso muss Politik, die sich für die Gleichberechtigung der Frau einsetzt, mit der Öffnung von Spielräumen, finanziellen wie rechtlichen, beginnen, die der Familie die Freiheit geben, sich für die von ihr gewünschte Form der Aufgabenaufteilung zu entscheiden. Kinderpolitik und Frauenpolitik sind damit Teil der Familienpolitik - sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Familienpolitik betrifft alle Familienmitglieder: Mütter, Kinder - und Väter.

Ganzheitliche Familienpolitik bezieht auch die Seniorenpolitik ein. Alte Menschen sind ebenfalls Teil der Familie, auch wenn sie nicht immer im gleichen Haushalt leben: Das solidarische Gemeinwesen Familie reicht von den Jungen von gestern bis zu den Alten von morgen - angesichts der steigenden Lebenserwartung eine Spannbreite von manchmal vier oder sogar fünf Generationen.

Eine Familienpolitik, die alle Mitglieder der Familie von jung bis alt einschließt, Familiengerechtigkeit in allen die Familie betreffenden Bereichen herstellt, die Eigenverantwortung von Familien stärkt und Hilfe zur Selbsthilfe dann leistet, wenn Familien mit Problemen nicht aus eigener Kraft fertig werden, ist damit eine gesellschaftspolitische Gestaltungsaufgabe. Sie muß über das Gebiet der Sozialpolitik im engeren Sinne einer finanziellen Unterstützung einkommensschwacher Familien weit hinausgehen und innere sowie äußere Spielräume für alle Familien schaffen. Der Deutsche Familienverband definiert Familienpolitik grundsätzlich als Gesellschaftspolitik.

Die zentralen Handlungsfelder sind für den Deutschen Familienverband:

  • Gerechter, lebensphasenübergreifender Ausgleich für Familienleistung
  • Arbeitswelt als Gesamtkonzept aus Familienarbeit und Erwerbsarbeit
  • Familienbildung zur Stärkung der Eigenkompetenz von Familien
  • Familiengerechte Lebensräume
  • Europa als Lebensraum für Familien